Europatag fĂŒr die 10. Klassen mit dem Generalkonsul der Niederlande Peter Vermeij
Seit dem 8. Mai 1945 leben wir im integrierten Europa ohne Krieg. Einen Tag und fĂŒnf Jahre spĂ€ter setzte der französische AuĂenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 mit seinem Plan fĂŒr die âMontanunionâ den Impuls, aus dem bis heute die EuropĂ€ische Union geworden ist â bis heute das, was sie vor allem sein wollte, eine Friedenssicherung auf einem demokratisch, wirtschaftlich und sozial stabilem Fundament. Mit gutem Grund wurde der 9. Mai zum Europatag.
Ein Tag, den auch wir als Auftrag sehen und zu dem wir fĂŒr unsere 10. Klassen ein besonderes Programm vorbereitet hatten.
In der 1. und 2 Stunde arbeitete jede Klasse zunĂ€chst fĂŒr sich an grundlegenden Kenntnissen zur europĂ€ischen Integration. Lagen die Ziele und Vorteile auf der Hand, nach 1945, 1957 oder 1989 immer zahlreicher, entstand gleichzeitig ein Eindruck von den Schwierigkeiten und oft nur kleinen, wie so oft in der Geschichte immer erst wirtschaftlichen Integrationsschritten, bevor der âDinoâ dann 1992 mit dem Vertrag von Maastricht auch politisch besser laufen lernte. Im Weiteren verdeutlichten die gegenwĂ€rtigen Strukturen, zuletzt 2007 mit dem Vertrag von Lissabon, der Ersatz-Verfassung, einschneidend angepasst, den erreichten Stand: Kompetenzen, Institutionen, âGesetzgebungâ und Machtverteilungen zwischen den Nationalstaaten und der supranationalen Ebene. Je kleiner die Welt wird, umso mehr legen die vergemeinschafteten Strukturen zu.
3. und 4. Stunde gehörten ausgewĂ€hlten Texten von Experten unterschiedlicher, europapolitisch gleichsam einschlĂ€giger Herkunft. Zu aktuellen Herausforderungen und zukĂŒnftigen Entwicklungen lasen wir: Jochen Bittner u.a.: Weltmacht! Echt jetzt? (ZEIT 17.11.16), Charles A. Kupchan: Stellung halten. Dank Donald Trump liegt die Zukunft des Westens in den HĂ€nden der EU (SZ 12.6.17), Joschka Fischer: Europas Agenda 2017 (SZ 9.1.17), Werner Weidenfeld: Wo Europa liegt (SZ 4.11.17), Mark Rutte: Weniger versprechen, mehr halten. Das Versprechen Europas erfĂŒllen (Rede des niederlĂ€ndischen MinisterprĂ€sidenten Berlin 2.3.18), Stefan Cornelius: Zwei gegen Trump (SZ 27.4.18).
Nicht ohne Kompetenzhilfe aus dem Fach Deutsch werteten wir sie aus und bekamen, jede Klasse mit ihrem Text auf eigene Weise, eine Vorstellung nicht nur vom wachsenden MaĂ an Eigenverantwortung, das Europa aufbringen sollte einerseits zwischen den zunehmend isolationistischen bis ĂŒberforderten USA und andererseits roh autoritĂ€r aufgeladenen Weltregionen (Russland, China, Teile Afrikas, Naher Osten). Auch Potenziale wurden benannt, wenn sich Europa weiter konstruktiv besinnt und klug integriert: Wirtschafts- und Innovationskraft, technisches und militĂ€risches Knowhow, politischer Sachverstand, unverzagte Diplomatie und Werte, die Menschen gewinnen können.
Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Fachschaft, wie sie in diesen Stunden mit ihren Klassen gearbeitet haben!
Daraus ergaben sich gleichzeitig Fragestellungen fĂŒr den zweiten, gemeinsamen Teil und gleichzeitig Höhepunkt des Europatages, den Besuch des Generalkonsuls der Niederlande in MĂŒnchen, Herrn Peter Vermeij.
Herr Vermeij gab uns eine Vorstellung davon, welch hohe Anforderungen der diplomatische Dienst an die ReprĂ€sentanten seines Landes stellt. Sofort war nach wenigen SĂ€tzen spĂŒrbar, wie unser Gast die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler anhaltend erreichte. Mit in sich ruhender Freundlichkeit und Leichtigkeit, zuweilen feinem Witz und gleichwohl immer klarer Bestimmtheit in der Sache prĂ€gte Herr Vermeij seinen einstĂŒndigen Vortrag. AnschlieĂend die Frage- und GesprĂ€chsrunde nicht minder.
EindrĂŒcklich zeigte Herr Vermeij, wie vielseitig seine Konsulatsarbeit gefĂ€chert ist. Kommunikations- und Vermittlungsaufgaben fĂŒr niederlĂ€ndisch-deutsche Wirtschaftskontakte stehen dabei weit oben. Das hatten wir nicht vermutet. Es sei kein Zufall, dass die Niederlande in der Sache oft eine Bayern nahe Position haben, sehe er sein Land doch in einem Ă€hnlichen VerhĂ€ltnis zur EU wie Bayern zu Berlin. Und so ergĂ€ben sich immer wieder viele Möglichkeiten gemeinsam aktiv zu werden.
So kam die EU in den Blick. ErlĂ€uterungen zu den wichtigsten Integrationsschritten und zum Zusammenspiel in der EU unterstĂŒtzten die vorherige Arbeit in den Klassen. Dieses Werk zu erhalten und aus den Nationalstaaten heraus weiter zu entwickeln, war und bleibt die Niederlande gerne Nettozahler. Ein klares politisches Bekenntnis zur EU. Das gleichwohl auch wirtschaftlich aufgehe, denn mit den zusĂ€tzlichen Einnahmen fĂŒr Wirtschaft und Handel gehörten unterm Strich die Niederlande zu den starken Profiteuren der EU. Wie auch Deutschland, wie Herr Vermeij ergĂ€nzte, und noch ganz zu schweigen von dem stabilen Friedens- und freiheitlichen Rechtsraum. Unbezahlbar.
Nicht anderes war von einem NiederlĂ€nder zu erwarten als ein Votum fĂŒr den Freihandel. Dem folgt die Sorge vor den nur aufgeschobenen US-Zöllen auf Stahl und Aluminium. Gleichwohl, auch ohne AnhĂ€nger des US-PrĂ€sidenten zu sein, bleibt diese EinschĂ€tzung nicht so eindeutig, wenn wir uns die vielen populistischen ProtestwĂ€hlerstimmen aus dem deindustrialisierten Rust Belt vor Augen halten. Globalisierungsverlierer gibt es auch in den USA viele. Oder wenn wir auf Handelsverbindungen in andere Weltregionen blicken, in denen Freihandel nur bis zu einem gewissen MaĂ an Ungleichheit allen hilft. Ist die Ausgangssituation zu schief, verschĂ€rft Freihandel die Ungleichheit auf unfaire Weise, die immer weniger mit Leistung zu tun hat. Nicht umsonst legte sich nach dem Zweiten Weltkrieg um Westeuropa ein transatlantischer Mantel handelspolitischen Protektionismusâ. â âDann muss man sich eben auf noch bessere bzw. Nischensorten spezialisierenâ, erst recht im Kontext global wechselnder TechnologiefĂŒhrerschaften!
Migration, zeigt die niederlĂ€ndische Geschichte, mĂŒsse dabei als Chance gesehen werden. Sinnvoll gesteuert und mit tragfĂ€higen Integrationskonzepten versehen kann sie handfeste Vorteile bieten. Er habe die Hoffnung auf mehr als nur einen fremdlĂ€ndisch aussehenden SchĂŒler im Publikum.
Die Niederlande stehen fĂŒr Entwicklungsdrang und Unternehmergeist, sagte der studierte Ingenieur und vormalige Spezialist im Wirtschaftsministerium. EuropĂ€isch wĂŒnscht sich Herr Vermeij davon mehr, z. B. fĂŒr die ElektromobilitĂ€t und Akkutechnologie, in der Herr Vermeij nicht nur den sinnvollsten Weg fĂŒr eine nachhaltige MobilitĂ€t sieht, sondern intelligent genutzt, shared und vernetzt, zugleich das Fundament erkennt fĂŒr eine ĂŒberhaupt noch denkbare urbane MobilitĂ€t in den Megacities der kommenden Jahre und Jahrzehnte. 2050 werden Prognosen zufolge zwei Drittel der Menschheit in GroĂstĂ€dten leben.
Weitere und deutlich schnellere und deutlich stĂ€rkere Anstrengungen zum Klimaschutz fordern die Niederlande noch nicht einmal zuvorderst aus der KĂŒstenlage. GrenzĂŒberschreitende Aufgaben zu meistern können die NiederlĂ€nder traditionell gut, der Deichbau funktioniert seit Jahrhunderten nur kooperativ trotz InteressensgegensĂ€tzen an natĂŒrlich anderen Stellen. Es sind die massiven, sehr unterschiedlichen Folgen weltweit, die die einzelnen Staaten heillos ĂŒberfordern werden, wenn das Pariser Abkommen nur ein weiteres Alibi bleiben sollte, weil hernach die einzelnen Staaten wieder weiter fĂŒr sich fordern. Die Niederlande stehen deshalb statt der 2 °C fĂŒr sogar eine Begrenzung auf 1,5 °C und machen mit teils drastischen Eingriffen etwa bei der Kohleverstromung schneller ernst als Deutschland.
Wenn wir heute nicht weit ĂŒber Europa hinaus schauen, ist uns nach jahrzehntelanger, scheinbarer SelbstverstĂ€ndlichkeit die Bedeutung von Sicherheit und Frieden wieder besonders bewusst geworden. Und schauen wir uns in Europa um, bleiben auch Demokratie und Rechtsstaat eine Aufgabe.
âAndere Staaten laufen gut, autoritĂ€râ, merkte Herr Vermeij lapidar auf, das âEnde der Geschichteâ der 1990er-Jahre ist mittlerweile ein Trugschluss. âĂbernehmen Sie, liebe SchĂŒlerinnen und SchĂŒler!â, ergĂ€nzte unsere Schulleiterin Frau Wischnevsky, als verantwortungsvolle, wertbewusste und, wie gehört und gespĂŒrt, in guter niederlĂ€ndischer Tradition als weltoffene sowie kontakt- und kooperationsfreudige EuropĂ€erinnen und EuropĂ€er.
Wir danken Herrn Vermeij vielmals, dass er an diesem Tag fĂŒr Europa zu uns an die Schule gekommen ist.
Sehr prÀsent, inspirierend und ermutigend.
Andreas Simon